Als ich mich in meinem Sitz umdrehe, kann ich noch die letzten Hochhäuser Teherans unter der grauen Dunstwolke erkennen.
Wir sind auf dem Weg nach Kashan, einer kleinen Stadt südlich von Teheran. Die Fahrt wird gut 4 Stunden dauern und ich nutze die Zeit um über die letzten Tage nachzudenken.
5 Tage ist es nun her, dass wir mit dem Zug im Iran angekommen sind. 5 Tage die wir in der Hauptstadt, in Teheran verbracht hatten. Tage von denen ich mich grade erhole.
… Denn Teheran kann einen fordern, sogar überfordern. Wer sich mit der Stadt anlegt, sollte wissen worauf er sich einlässt.
1:0 für Teheran
Wir kommen früh am Morgen in Teheran an – eigentlich noch mitten in der Nacht. Wir sind geschlaucht von der mehrtägigen Zugfahrt, die sogar 10 Stunden länger dauerte als erwartet.
Mit dem Morgengrauen treten wir vor die Türen des relativ modernen Bahnhofs und sofort erwischt uns die Stadt eiskalt: der Platz ist voller Menschen. Ein Treiben, das an die Rushhour der heimatlichen Bahnhöfe erinnert, nur dass es erst halb sechs ist. In den Straßen schieben sich bereits hunderte von Autos voran und der Krach der Motoren bricht wie Wellen über uns zusammen.
In diesem Moment bin ich wehrlos, habe dem einfach nichts entgegen zu setzen. Eigentlich habe ich mittlerweile Erfahrung im Umgang mit Städten dieser Größenordnung, habe gelernt mit ihnen klarzukommen, obwohl ich nicht wirklich ein Stadtmensch bin. Doch jetzt bin ich müde und habe die Deckung fallen lassen. Wegen der Einreise in den Iran mussten wir den Zug mehrmals in der Nacht verlassen und die Bürokratie von Grenzposten über uns ergehen lassen. Ich weiß, dass sie nunmal zum Reisen dazugehören, dennoch rauben sie mir den letzten Nerv. Und diesmal auch den Schlaf. So versuche ich erst gar nicht mich der Stadt entgegen zu stellen, sondern lasse mich einfach mitreisen in der Hoffnung vor unserem Hostel angespült zu werden. Rückzug ist in diesem Moment der weit bessere Plan.
Das Monstrum und die Gegensätze
Nach einigen Stunden Schlaf und einer Dusche sieht es schon anders aus. Ich fühle mich gewappnet und wir wagen es uns in den Strom der Stadt zu schmeißen.
Trotzdem bleibt Teheran eine Herausforderung. Ein Monstrum von Stadt, durch dessen Adern sich täglich bis zu 15 Millionen Menschen bewegen. Ein großer Teil davon in Autos und jeden Tag werden es mehr (eine Iranerin berichtet später von 4000 Neuanmeldungen JEDEN TAG, wobei ich das nicht wirklich glauben kann). Der Verkehr ist unter diesen Massen schon lange kollabiert. Nichts hält ihn mehr in Schach und die endlose Schlange aus Blech und Metall, die sich laut hupend durch die Straßen windet, wirkt wie das pure Chaos. Nach einiger Zeit erkennt man aber, dass es System hat, dass es organisiertes Chaos ist, das eigenen Regeln folgt. Welche das sind, kann ich aber auch jetzt noch beim besten Willen nicht sagen.
Ein ziemlicher Widerspruch und grade deswegen eine wunderbare Metapher für die Stadt – in mancher Hinsicht sogar für das gesamte Land. Denn der Iran ist voller Widersprüche, voller Gegensätze – und in Teheran scheinen sie wie am Fließband aufzutreten.
Hier stehen prächtige Moscheen und heilige Schreine in Laufdistanz zu Kaufhäusern, in denen mehr als 1.000 (!) Geschäft nichts anderes anbieten als Handys und Smartphones. Über den Dächern der Stadt ragen Minarette aus einem Meer illegaler Satellitenschüssel und an den Fassaden der Häuser hängen Märtyrerbilder neben Plakaten von BMW und Zam-Zam Cola.
Hier können sich Jungen und Mädchen treffen und gemeinsam Zeit verbringen, hier darf getanzt, gefeiert und auch geflirtet werden. Man kann hören, sehen und lesen was immer einen interessiert und man muss in Unterhaltungen kein Blatt vor den Mund nehmen. Hinter verschlossenen Türen können die Iraner freier sein und sich verwirklichen, jedenfalls zu einem Teil. Manchmal wagen einige sogar noch mehr und rufen dann zu geheimen Konzerten, Lesungen oder Ausstellungen auf. Ein großes Risiko aber auch der Versuch etwas zu bewegen.
Wer die Mittel hat…
„Im Grunde gibt es nichts, was du im Iran nicht bekommen kannst“, verrät uns Amir, als wir bei ihm zu Hause auf seiner weißen Ledercouch sitzen. Amir ist Anfang 30 und besitzt neben einem Unternehmen, das Teppiche im- und exportiert noch einige Grundstücke. Wir kamen in seinem Laden ins Gespräch und mit der typisch iranischen Herzlichkeit hat er uns gleich für den nächsten Abend eingeladen. Jetzt sitzt er in Shorts auf seiner Couch, seine Freundin neben ihm, natürlich ohne Kopftuch. „Du musst nur wissen, wo du die Sachen findest und viele Dinge sind sehr teuer.“
Alkohol ist eines dieser „Dinge“. Dennoch lässt die Bar, die gut sichtbar in der Ecke des Wohnzimmers steht, keine Wünsche offen. Amir geht es gut. Er gehört zu den reichen Teheranern und mit Geld werden die Verbote und auch die extremen Strafen nebensächlich. Schließlich können Polizisten bestochen werden, häufig sogar mit dem verbotenen Gut. Probleme hat er so eigentlich noch nie bekommen. Trotzdem, auch vor seinen Fenstern hängen schwere Vorhänge, die stets zugezogen sind.
Den Wein, den wir trinken, hat er selbst hergestellt. Der Wodka und Whiskey in der Bar ist gekauft, teilweise zu einem Vielfachen des normalen Preises. Trotzdem geizt er nicht damit und spätestens als noch ein paar Freunde zu Besuch kommen, geht die Party richtig los. Es wird getanzt, getrunken und gelacht als sei es das Selbstverständlichste überhaupt.
Vielleicht ist es das für Amir auch. Er hat es geschafft, hat es zu Wohlstand gebracht und auf ihm lasten die Verbote seines Landes nicht so schwer.
Vielen Iranern geht es da allerdings anders. Sie fürchten die Polizei und die Strafen. Dennoch wollen Sie nicht auf die heimlichen Freiheiten verzichten und weiter jede Möglichkeit nutzen, mit der restliche Welt den Kontakt zu suchen. Das ist der Grund warum so gut wie jeder unter 30 auf SocialMedia-Seiten unterwegs ist, obwohl diese eigentlich gesperrt sind. Deswegen gibt es in Teheran eine der größten Couchsurfing-Communities der Welt, obwohl es den Iranern verboten ist, Ausländer zu beherbergen. Und deswegen kommen so viele der Menschen freundlich auf einen zu, um das Gespräch zu suchen, auch wenn ihr Englisch grade mal für ein „Welcome to Iran“ reicht. Aber das ist aufrichtig gemeint.
Diese Seite des Landes sieht man nur selten in den Nachrichten. Doch will man sie kennen lernen, muss man nur herkommen und sich darauf einlassen. Und um das zu tun, ist Teheran eine gute Stadt für den Anfang.
Denn hier treffen sie wie kaum woanders aufeinander, die islamische Republik der Ayatollahs und die Sehnsüchte einer Jugend, die nichts lieber will als sich frei entfalten zu können. Zwei Seiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und deren Gesichter man jeden Tag auf den Straßen sieht: Das Koheminis, der stets streng von seinen vielen Plakaten aus wacht und das freundliche Gesicht junger Iraner, die Visitenkarten mit ihrem Facebook-Profil verteilen.
Der Iran ist schon lange im Wandel und wir haben den Eindruck, die Jugend könnte vielleicht doch den längeren Atem haben…
Deine Neugier ist geweckt und du überlegst selbst mal in den Iran zu reisen? Dann schau auch mal bei Steffi von A-World-Kaleidoscope vorbei. Sie hat einen wirklich tollen Bericht über den Iran geschrieben, mit haufenweise Tipps zu den Reisezielen und verschiedenen Routen.
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[…] China gereist, wo sie sich momentan noch befinden. Als Kostprobe empfehle ich, einen Blick auf den Text zu Teheran zu werfen. Er bietet ein schönes Portrait dieser Stadt zwischen Privatparty und […]