Wir sind zu viert mit dem Wohnmobil unterwegs. Von Istanbul sind wir nach Antalya geflogen und fahren nun nach Konya, einem der religiösen Zentren der Türkei. Wo wir heute nacht bleiben wissen wir noch nicht. Wir fahren frei Schnauze und jeder redet mit: rechts, links, rechts, links. Bis wir plötzlich mitten in einem wunderschönen, gepflegten Park neben einer Moschee stehen. Hier gibt es Toiletten, Parkbänke und Grillplätze – perfekt!
Fehlende Emanzipation oder fehlendes Verständnis?
Noch ist nicht viel los. Es ist aber auch erst 19.00 Uhr und der zweitletzte Fastentag des Ramadan. In ein bis zwei Stunden wird es hier richtig voll werden, weil alle zum Essen zusammenkommen. Wir suchen uns eine Bank im Schatten, neben der zwei junge Männer im Gras sitzen. Atilla spricht die beiden an, um zu fragen, ob wir uns setzten dürfen.
Sie sprechen türkisch und ich verstehe natürlich nichts, aber die Stimmung des Gesprächs ist leicht wahrzunehmen: erst verhalten und höflich, dann nach einem freundlichen Lachen richtig herzlich.
Plötzlich dreht Atilla sich um und sagt: „Mustafa gibt heute ein Essen für seine Familie und Freunde. Er hat uns eingeladen. Habt ihr Lust?“ Wir zögern kurz, schließlich kennen wir den Mann noch keine 5 Minuten, da fügt Atilla mit einem Augenzwinkern hinzu „… dann hat er seine gute Tat für heute getan.“ Na gut, warum eigentlich nicht? Mustafa erklärt Atilla noch kurz den Weg zum Restaurant, dann verabschieden er und sein Freund Murat sich. Sie schütteln Atilla die Hand, dann Manuel und dann gehen sie. Petra und ich haben beide gezuckt, bleiben dann aber wie angewurzelt stehen, als wir ausgelassen werden. Sofort schreit eine kleine emanzipatorische Stimme in meinem Kopf „Wie unhöflich!“. Ich muss schmunzeln. Toleranz und Weltoffenheit hin oder her, den Aufschrei der kleinen Stimme konnte ich nicht verhindern. Dafür ist die Situation noch zu ungewohnt. Dabei weiß ich es eigentlich besser. Schließlich hat Atilla uns diese Benimmregeln längst erklärt. Ein Mann spricht eine fremde Frau nicht an, sieht ihr nicht direkt in die Augen und gibt ihr auch nicht die Hand, weil er davon ausgeht, dass es einer ehrbaren Frau unangenehm wäre von einem fremden Mann berührt zu werden. Mustafas und Murats Verhalten war also keineswegs respektlos, sondern genau das Gegenteil: ein Zeichen des Respekts.
Uns bleibt noch eine knappe Stunde, dann machen wir uns auf den Weg.
Das Restaurant, in das wir eingeladen wurden, ist wunderschön. Ein echter Geheimtipp und natürlich voll ausgebucht. Im Garten ist eine lange Tafel für gut 20 Personen vorbereitet. Mustafa begrüßt alle herzlich und wir nehmen mit ihm am Ende des Tisches Platz. Erst als alle sitzen fällt mir eine weitere Sache auf, die ich nicht bedacht hatte: eigentlich sitzen jeweils alle Männer zusammen und alle Frauen. Nur wir bilden eine Ausnahme. Das scheint aber zum Glück niemanden zu stören.
Die Männer rauchen noch kurz eine Zigarette, dann wird das Essen aufgetragen. Es gibt eine Spezialität des Hauses: Lammbraten, der nach über 5 Stunden im Ofen butterweich auf der Zunge zergeht. Es schmeckt fantastisch! Es wird viel erzählt, gescherzt und gelacht. Ich verstehe natürlich wieder einmal längst nicht alles, aber es ist trotzdem ein wunderschöner Abend.
Glück im Unglück – Hilfsbereitschaft auf einem ganz neuen Level
Am nächsten Morgen sehen wir uns das Kloster von Mevlana, dem Gründer des Dervisch-Ordens an, für das Konya so bekannt ist.
Als wir im Anschluss weiter fahren wollen, bekommen wir deutlich zu spüren, dass heute der letzte Tag des Ramadan ist und morgen das Zuckerfest beginnt. Der Verkehr in der Stadt ist genauso nervenaufreibend, wie bei uns einen Tag vor Weihnachten.
Plötzlich ruckelt es und der Motor versagt. Wir rollen nur noch, die Autos hinter uns beginnen zu hupen und aus dem Motorraum steigt langsam dichter, weißer Qualm auf. Panik! Alle spielen verrückt, nur Atilla schafft es irgendwie das Wohnmobil sicher an den Straßenrand zu manövrieren, rauszuspringen und die Anschlüsse von der Batterie zu reißen. Das hat uns gerade noch gefehlt. Wie sollen wir ausgerechnet heute eine zuverlässige Werkstatt finden – in einer fremden Stadt? Es hilft alles nichts, Atilla ruft Mustafa an. Wie selbstverständlich kommt der sofort vorbei, telefoniert alle Werkstätten durch bis er jemanden gefunden hat und organisiert einen Abschleppwagen.
Hassan hat selbst nicht alle Ersatzteile da, doch damit wir nicht bis nach den Feiertagen warten müssen, wird in allen benachbarten Werkstätten gesucht, bis irgendjemand das richtige Teil gefunden hat. Gott sei Dank!
Das Blatt wendet sich
Mustafa ruft noch zwei, drei Mal wieder an, um zu fragen wie es uns geht und als das Wohnmobil um 17:00 endlich fertig ist, bittet er uns heute Nacht nicht mehr weiterzufahren. Es ist schon viel zu spät und er lädt uns wieder zum Essen ein.
Es ist uns fast etwas unangenehm, aber er hat Recht, es ist tatsächlich schon zu spät und so sagen wir dankend zu. Dieses Mal essen wir in kleinerem Kreis, nur mit den Familien von Mustafa und Murat und lernen auch die Frauen kennen, die gestern am anderen Ende des Tisches saßen. Mustafas Frau begrüßt uns herzlich und zieht mich sofort in ihren Bann. Diese Frau ist bildschön und schlicht weg beeindruckend. Sie schafft es drei Kellner gleichzeitig für uns zu koordinieren, ihre Kinder in Schach zu halten, zu essen und sich auch noch angeregt mit uns zu unterhalten.
Heute rauchen die Männer nicht. Mustafa erklärt, dass er in Anwesenheit der Kinder nicht raucht. Gestern war das nur eine Ausnahme, weil die Kinder am anderen Ende des Tisches saßen und er die Wespen von unserem Essen vertreiben wollte. Dieser Mann überrascht mich immer wieder.
Ich habe die Familie schnell ins Herz geschlossen. Vor allem seine kleine Tochter in ihrem rosa Kleidchen und mit einem Luftballon in der Hand, wie sie quirlig durch die Gegend springt. Sie hat wohl genauso einen Narren an mir gefressen, wie ich an ihr. Wir verstehen uns blendend – auch ohne Worte.
Es ist wieder einmal ein wunderschöner Abend und als wir uns verabschieden umarmen uns nicht nur die Frauen, sondern auch Mustafa und Murat. Wir sind jetzt keine Fremden mehr, sondern Freunde.
Wurdest du auch schonmal von der Hilfsbereitschaft oder Gastfreundschaft von Fremden überrascht? Erzähle uns deine Geschichte in den Kommentaren!
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