Ein unerwarteter Empfang
Freitagabend – trotz scheinbar diesigem Wetter empfängt uns Istanbul mit angenehm warmer Sommerluft als wir das Flugzeug verlassen – herrlich! Den weiteren Ablauf kennen wir schon: Passkontrolle, Gepäck einsammeln und ab in die nächste Metro Richtung Stadtmitte.
Istanbul schläft nie. Jeder Winkel, jede Gasse dieser Stadt ist voller Leben, doch irgendetwas ist dieses Mal anders.
Als wir uns in Sultanahmet mit unseren Rucksäcken aus der Metro schieben, sind wir für einen kurzen Moment völlig überfordert: Menschen – überall Menschen. Eigentlich sollten hier ein kleiner Park und dann der große Platz zwischen der Blauen Moschee und der Hagia Sofia sein. Doch jeder noch so kleine Rasenfleck ist ausgelegt mit Decken und Tüchern, jede Bank, jede Mauer ist besetzt. Überall kommen Familien und Freunde zusammen, Jung und Alt, sogar Kinder. Und dabei ist es schon nach 22:00 Uhr. Live-Musik, Plakate, Leuchtreklame. Wir brauchen einen Moment um uns zu orientieren, aber dann ist schnell klar, was wir für kurze Zeit vergessen haben: es ist Ramadan.
Tagsüber wird gefastet, abends kommt man zusammen, um zu essen.
Wie spannend! In diesem Fall lassen wir uns trotz Gepäck ein wenig Zeit auf dem Weg zum Hostel und saugen so viele Eindrücke auf wie möglich, bevor wir todmüde ins Bett fallen.
Am nächsten Morgen
Nun heißt es erst einmal frühstücken und Pläne schmieden. Unser Hostel – das Antique Hotel – hat einen terrassen-ähnlichen Gemeinschaftsraums, sodass man schon beim Frühstück einen fantastischen Blick über den Bosporus auf die asiatische Seite Istanbuls genießen kann – der perfekte Start in den Tag.
Als wir letztes Jahr im September zum ersten Mal in hier waren, haben haben wir uns in erster Linie die Hauptattraktionen angesehen: die Hagia Sophia, die blaue Moschee, den Topkapi Palast, die Basilica Cistern, die Süleymaniye Moschee, das Süleymaniye Hamam, die Galata-Brücke und natürlich den großen und den ägyptischen Basar. Ein recht sportliches Programm für zwei Tage, aber trotzdem gut machbar, weil alles nur einen kurzen Fußmarsch voneinander entfernt ist. Es blieb immer genug Zeit sich ein wenig treiben zu lassen und den ein oder anderen Çai oder türkischen Kaffee zu genießen.
Gesagt, getan
Ich brauche noch einen leichten Schal, den ich im Iran als Kopftuch nutzen kann. Nach ein wenig suchen und feilschen auf dem großen Basar ist dieser Punkt schnell abgehakt und wir schlängeln uns durch die Gassen Richtung Galata-Brücke. Ganz schön verführerisch diese vielen kleinen Stände mit den tollsten Sachen und köstlichsten Leckereien. Immer wieder ertappen wir uns selbst bei dem Gedanken: „Oh wie schön, das könnte man doch gut gebrauchen, um…“ Halt! Stopp! Man bestimmt. Wir aber nicht. Nicht als Backpacker, die die nächsten zwei Jahre ständig unterwegs sind. Sich diese Touristenattitude abzugewöhnen ist gar nicht so einfach. Aber mit einem Veto-Recht bei jedem Kauf halten wir uns gegenseitig ganz gut in Schach. 😉
In Beyoğlu steigen wir als erstes zum Galataturm hinauf. Oben angekommen machen wir eine kleine Pause auf dem belebten Platz. Vom Fuß des Turms sieht man nicht viel, aber das Eintrittsgeld für den Aufstieg zur Spitze sparen wir uns trotzdem, weil wir eine Geheimtipp für einen noch besseren Ausblick in petto haben. Stattdessen sehen wir ein paar Kindern dabei zu wie sie kreischend und johlend auf ihren kleinen Fahrrädern „Fangen“ spielen.
Weiter geht´s zur Istiklal Caddesi (Unabhängigkeitsstraße). Auf den ersten Blick sieht die Fußgängerzone aus wie die Shoppingmeile in jeder zweiten europäischen Großstadt, aber eben nur auf den ersten Blick. Die ehemals wichtigste Straße für europäischer Kaufleute, Banken und Botschaften ist durch den Einfluss der vielen verschiedenen Nationen zum Sinnbild der Verwestlichung Istanbuls geworden. Hier gibt es die modernsten internationalen Geschäfte neben traditionellen Shops, Restaurants, Buchläden, Kunstgalerien, Kinos und Kirchen der verschiedensten Religionen. Die Istiklal Caddesi ist unter Türken und Touristen so beliebt, dass am Wochenende bis zu 3 Millionen Menschen herkommen. Wir beschließen diese Straße zu Fuß entlang zu schlendern und uns bei dieser Gelegenheit die katholische Kirche St. Anton anzusehen. Das Interessante daran ist weniger die Kirche selbst, sondern vielmehr zu beobachten, wie die vielen muslimischen Besucher die Kirche bestaunen. Ein ungewohntes Bild, aber selbst die voll verschleierten Frauen wirken gar nicht so fehl am Platz wie man vielleicht vermutet hätte.
In luftigen Höhen
Für den Rückweg nehmen wir die historische Tram vom Taskim Platz zurück nach Tünel.
Dort angekommen laufen wir noch zwei Blocks weiter zum Hotel Mermara Pera. Hier versteckt sich unser Geheimtipp für DIE Aussicht über ganz Instanbul: eine Rooftop-Bar im 18. Stock! Tagsüber ist die Dachterrasse für die Hotelgäste reserviert, aber abends ab 18:00 Uhr kann jeder diesen Blick genießen. Die Spannung steigt: vorbei am Security-Personal, mit dem Aufzug in den 17. Stock und dann noch die letzten paar Stufen rauf zur Dachterrasse. Wir treten durch die offene Tür ins Freie und sind sprachlos: das wohl spektakulärste 360°-Panorama, das man sich vorstellen kann. Ganz Istanbul liegt uns zu Füßen und wir können den Bosporus und das goldene Horn zugleich überblicken. Wahnsinn!
Die Bar selbst ist perfekt durchgestylt und hat sogar einen eigenen DJ, der für die passende Stimmung sorgt. Wir machen es uns bequem und lassen wir uns unser Feierabendbier schmecken, auch wenn das ausnahmsweise drei Mal so viel kostet wie normal.
Sich hier wieder loszureißen fällt uns besonders schwer…
Kirgistan ist wie Kanada
Am Sonntag ist beim Frühstück im Hostel deutlich mehr los. Es sind die verschiedensten Nationen vertreten: Türkei, Frankreich, Kanada, Japan, Korea, Australien und natürlich Deutschland. Einige Gesichter kennt man schon von den vorigen Tagen, einige sind neu. Einige essen lieber in Ruhe und für sich, andere tauschen sich aus. Ich muss schmunzeln als ich überhöre, wie zwei Kanadier sich darüber unterhalten wie sehr Istanbul sie an Vancouver erinnert, mit den ganzen Tankern die hier vorbeischippern. Überhaupt sind die beiden der Meinung, dass vieles Kanada sehr ähnlich sehe, auch die Berge in Kirgisistan und vor allem die Alpen in der Schweiz – alles haargenau gleich. Ich hätte gerne noch ein bisschen weiter zugehört, aber wir bekommen Gesellschaft. Eine sympathische Frau setzt sich zu uns und erzählt munter drauf los…. allerdings auf türkisch. Etwas perplex gucken wir beide wohl so dümmlich, dass sie sich schnell in gebrochenem englisch entschuldigt und mit einem Lachen erklärt sie hatte Manuel für einen Türken gehalten. Kein Problem! Das passiert lustigerweise ständig. Wir unterhalten uns noch eine Weile, sprechen über die Türkei, aber auch über Deutschland und unter anderem stellt sie uns folgende Fragen: Warum tragen so viele türkischen Frauen in Deutschland ein Kopftuch? Warum können so viele von ihnen kein deutsch sprechen, wo sie doch in Deutschland leben? Und warum leben die Türken in Deutschland immer so abgesondert… fast wie in einem Ghetto?
Wow! Das sind wirklich gute Fragen! Wir diskutieren und philosophieren zwar noch ein bisschen, aber so richtig wissen wir auch keine Antwort.
Alt und Neu
Nach dem Frühstück machen wir uns für ein bisschen Kulturprogramm wieder auf nach Beyoğlu zum Dolmabahçe Palast. Der Gebäude-Komplex wurde erst von den Sultanen, dann von den Präsidenten als Residenz genutzt bevor es 1984 zum Museum wurde. In den prunkvollen Gemächer der Sultane und zwischen den kostbaren Geschenken aus der ganzen Welt, kann man sich richtig lebhaft vorstellen, wie von hier aus das osmanische Reich regiert und im Zeremonie-Saal Staatsempfänge abgehalten wurden.
Vom Palast aus schlendern wir am Bosporus entlang nach Ortaköy einem kleinen Viertel unterhalb der Bosporusbrücke, die den europäischen und den asiatischen Teil Istanbuls verbindet.
Ortaköy ist ein beliebtes Studentenviertel, das sich abends in eine der Partyhochburgen Istanbuls mit den angesagtesten Clubs verwandelt. Doch dafür ist es noch zu früh. Wir entspannen lieber ein wenig auf der Piazza direkt am Bosperus, wo gleich neben der Moschee einige Boote im Hafen liegen und sehen den Kindern dabei zu wie sie immer wieder aufs Neue vom Steg ins kühle Nass springen. Auch hier lädt das ganze Viertel zum Erkunden ein. Was besonders oft angeboten wird ist eine türkische Spezialität: Kumpir. Ein leckeres, einfaches Gericht, das jeder selbst zu Hause zubereiten kann. Eine riesige Ofenkartoffel wird in der Mitte aufgeschnitten und mit allem möglichen gefüllt. Erst wir das Innere der Kartoffel etwas zerkleinert und mit Butter und Käse vermischt, die natürlich sofort schmelzen. Dann wir die Kartoffel je nach Geschmack aufgefüllt mit Zwiebeln, Salat, Oliven, Bulgursalat, Wurst, Gurke, Mais, Bohnen und „abgerundet“ mit Mayo und diversen Saucen. Lecker!
Ramadan hautnah
Wir machen uns zeitig auf den Weg zurück zu unserem Hostel, denn heute ist ein besonderer Abend. Es ist einer der drei wichtigsten Tage des Ramadan. Heute wurde die erste Seite des Korans geschrieben. Eine passende Gelegenheit, um sich unter die Leute zu mischen und sich das bunte Treiben rund um die Blaue Moschee anzusehen. Es ist einfach herrlich! Wie schon in unserer ersten Nacht hier kommen überall Familien und Freunde zusammen, es wird gegessen, erzählt, gelacht und Musik gespielt. In einer langen Reihe von Ständen werden verschiedene Handwerke zur Schau gestellt, Waren angepriesen und vor allem Süßigkeiten angeboten. Noch dazu ist alles mit Lichterketten beleuchtet. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen man wäre auf einem Weihnachtsmarkt gelandet. Aber statt Glühwein und Reibekuchen gibt es türkischen Kaffee und Baklava.
Doch so ist Istanbul. Dieses Gefühl hinterlässt die Stadt bei jedem, der sie besucht. Egal ob nur für ein Wochenende oder für Jahre. Istanbul hat immer noch mehr zu bieten, ist stets im Wandel, ein Teil bleibt immer unentdeckt.
Wir aber müssen uns verabschieden, denn für uns geht es morgen weiter. Erst nach Antalya und von dort aus ins Innere der Türkei. Wir sind gespannt….
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