Spion?… Nein, nur Schokolade!
14:00 Uhr. Es sind erst 10 Minuten vergangen, seit ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut habe. So langsam weiß ich nicht mehr wie ich auf diesem unbequemen Hartschalen-Plastikstuhl sitzen soll. Am liebsten würde ich mir ein wenig die Füße vertreten, aber wie ein gefangener Tiger auf und ab zu laufen, wäre sicher nicht besonders hilfreich – also bleibe ich sitzen.
Wo? An der iranisch-turkmenischen Grenze. Wir sind im Begriff den Iran zu verlassen und durch Turkmenistan nach Usbekistan zu reisen.
Etwas mehr als drei Wochen haben wir im Iran verbracht. Eine wunderbare Zeit, in der uns dieses Land verzaubert und die Menschen uns immer wieder mit ihrer unglaublichen Herzlichkeit und Gastfreundschaft überrascht haben.
Wir hatten vorab einige, zum Teil haarsträubende, Geschichten von der iranischen Sittenpolizei und anderen Staatsvertretern gehört, sind selbst aber nicht ein einziges Mal damit in Kontakt gekommen. Bis jetzt. Jetzt sind unsere Pässe der iranischen Bürokratie zum Opfer gefallen. Bei der Passkontrolle beäugte der Beamte uns kritisch und bat uns kurz Platz zu nehmen. Das war vor zwei einhalb Stunden. Seit dem konnten wir beobachten wie unsere Pässe immer wieder von einem Beamten zum nächsten weitergereicht wurden.
Eigentlich können wir uns nicht beschweren. Grenzübergänge dauern immer etwas und zwei Stunden sind da noch gar nichts. Aber trotzdem: ein gutes Gefühl ist das nicht gerade.
Da. Endlich. Das sieht gut aus. Zwei Beamte kommen mit unseren Pässen auf uns zu.
Fast schon etwas zu schnell springe ich auf und gehe den beiden entgegen. Aber wir bekommen unsere Pässe nicht gleich zurück, der Beamte will erst noch etwas klären. „Sie haben einen Stempel aus der USA in Ihrem Pass.“, stellt er mir gegenüber fest. Ich nicke: „Jaaaa….“. Bei der Einreise hat sich niemand daran gestört. Warum jetzt? Er mustert mich eingehend und fragt: „Haben Sie noch einen zweiten Pass? Sind Sie Amerikanerin?“ BITTE, WAS??? Mein Herz rutscht mir in die Hose und im selben Moment hoffe ich, dass man mir meine leichte Panikattacke nicht ansieht – schließlich habe ich ja nichts falsch gemacht. „Nein. Nein. Nein. Das war beruflich.“, platze ich heraus. Das überzeugt ihn aber nicht so richtig und er sieht mich weiterhin skeptisch an. Erst als ich ihm erkläre, dass ich damals Nüsse für Schokolade eingekauft habe, mein Handy zücke und ihm ein paar Fotos der Produkte zeige, hellt sich seine Miene auf. Die Schokolade kennt er und er scheint sie auch zu mögen. Genau wie seinen Kollegen; alle nicken und lächeln. Puhh… . Gut, dass die Iraner so gern Süßes essen! Wir bekommen unsere Pässe zurück, werden freundlich verabschiedet und dürfen endlich gehen. Wer hätte gedacht, dass Schokolade uns über die Grenze hilft? ?
Turkmen – was?
Die erste Hürde ist geschafft. Mit Sack und Pack lassen wir uns von den Soldaten durch ein Stück Niemandsland nach Turkmenistan dirigieren.
Hier bereitet uns die Grenzkontrolle zum Glück keine Probleme.
Sobald wir den letzten Wachposten der Grenzstation passieren, werden wir sofort von ein paar selbsternannten Taxifahrern umringt, von denen uns jeder lautstark seine Dienste anbietet. Um ihrem Angebot noch etwas Nachdruck zu verleihen, zerren sie einfach schon einmal unsere Rücksäcke in Richtung ihrer Autos – ungeachtet der Tatsache, dass wir an den Rucksäcken noch dranhängen. Da heißt es auch bei Temperaturen von über 40°C noch einen kühlen Kopf bewahren, hart verhandeln und sich nicht von dem hin und her rechnen zwischen den Währungen verwirren lassen. Zum Glück hat Manuel das inzwischen ziemlich meisterhaft drauf und so dauert es nicht lange bis wir im nächsten Taxi sitzen auf dem Weg in die Stadt Mary.
Unterwegs deutet unserer Fahrer mit einer ausladenden Geste auf die Sand- und Geröllwüste mit ihren paar Grasbüscheln, durch die er uns fährt, und sagt voller Stolz: „Das ist Turkmenistan! Unser Vaterland. Schön, oder?“ Etwas verwirrt nicke ich und stimme ihm höflichkeitshalber zu. Ihm scheint das zu reichen. Er fühlt sich bestätigt und summt wieder zur Musik im Radio.
Ich fühle mich ein bisschen benommen von der stickigen Hitze im Auto, blicke wieder aus dem Fenster und sinniere vor mich hin:
Turkmenistan ist ein merkwürdiges Land. Der diktatorische Regierungschef scheint keinerlei Interesse an der Außenwelt zu haben. Er ist vorsichtig genug es sich mit niemandem zu verscherzen und hat das Land für politisch neutral erklärt, schottet es aber völlig ab. Satellitenschüsseln und ausländische Zeitungen oder Magazine sind verboten, um die Pressefreiheit ist es hier nicht viel besser bestellt als in Nordkorea und an Touristen ist man schon gar nicht interessiert. Allein ein Transit-Visum für 5 Tage zu bekommen ist ein riesiger Aufwand und hat uns einiges an Zeit, Geld und Nerven gekostet. Ein längerer Aufenthalt in diesem Land ist so gut wie unmöglich.
Ein ziemlich anmaßendes Verhalten für ein Land, das zu 95% aus Wüste besteht, wie ich finde. Aber Turkmenistan verfügt über so reiche Erdgas- und Erdöl-Vorkommen, dass es sich anscheinend aussuchen kann mit wem es handelt.
Die Bevölkerung ist deshalb noch lange nicht wohlhabend, aber immerhin profitiert sie ein wenig von den Schätzen des Landes: Strom, Gas, Wasser und Salz sind für jeden kostenfrei zugänglich und Benzin und Brot dank staatlicher Subventionen super günstig.
Home sweet Sowjet
Auf der Fahrt nach Mary wird schnell klar, von dem Persien, das wir im Iran kennen gelernt haben, ist hier nicht mehr viel zu finden. Zwar teilen die Länder Zentralasiens eine mehrere tausend Jahre alte, gemeinsame Geschichte, in Turkmenistan hat sich in der Sowjet-Zeit aber ganz klar der russische Einfluss durchgesetzt.
Die Menschen leben in einfache Plattenbau-Wohnblocks, die irgendwie alle gleich aussehen. Die Straßen sind entweder in miserablem Zustand oder dreispurig aber fast leer. Sie enden entweder vor einem Graben, über den nur zwei Planken auf die nächste Straße führen oder in riesigen Kreisverkehren mit meterhohen Statuen des Präsidenten. Mary selbst ist die viert größten Stadt des Landes, aber so flächig und entzerrt angelegt, dass in ihr sogar die riesigen, monumentalen Prunkbauten irgendwie verloren wirken. Durch das Taxifenster lernt man ein Land natürlich nur sehr begrenzt kennen, aber es kommt uns trotzdem alles ein wenig kurios vor.
Wir beiden sind nur auf der Durchreise und möchten so schnell wie möglich nach Usbekistan. An einem Tag ist das aber nicht zu schaffen und so bleibt uns nichts anderes übrig als uns für eine Nacht in einem der völlig überteuerten Hotel einzumieten.
Das allerdings war ein Erlebnis für sich. Denn um den liebreizenden Sowjet-Charme des Hotels zu erhalten, wurde es wohl noch nie renoviert. Bei der Fahrt mit dem Aufzug bohren sich meine Fingernägel vor Angst in Manuels armen Unterarm und beim Gang über den knarrenden Flur befürchte ich mich mit meinem schweren Rucksack jeden Moment eine Etage tiefer wiederzufinden. Die Wände in unserem Zimmer sind grün lackiert, das „Bad“, dessen Toilette bei der leichtesten Berührung umzukippen droht, stinkt unsäglich und mein Bett hängt stärker durch als jede Hängematte. Immerhin: die Bettwäsche ist sauber!
Nun ja, was man nicht ändern kann, nimmt man wohl am besten mit Humor! Je schneller man einschläft, umso schneller wird es Morgen.
Kurze Hosen und Kulturschock
Am nächsten Tag geht es gleich weiter in den Norden zur nächsten Grenze.
Das Prozedere ist ähnlich wie am Vortag. Die Ausreise aus Turkmenistan verläuft ohne Probleme, wir müssen wieder durch ein Stück Niemandsland und dann sind wir auch schon in Usbekistan.
Die Grenzbeamten hier sind besonders gründlich. Einer lässt sich von Manuel unsere elektronischen Geräte zeigen und sieht alle Fotos und Videos durch, um sicherzustellen, dass auch ja keine Pornos dabei sind (Gott bewahre!). Eine andere lässt sich von mir jedes einzelne Medikament unserer Reiseapotheke zeigen und erklären (laut mir im Zweifel immer Schmerztabletten).
Das dauert eine Weile, aber alle bleiben entspannt und freundlich, dann ist das halb so schlimm.
Am späten Nachmittag ist unser 600 km -Marathon endlich geschafft und wir erreichen unser erstes Ziel in Usbekistan: Buchara.
Auf den ersten Blick sieht die Stadt gleich wieder viel persischer aus. Die wunderschönen Lehmhäuser und -bauten der Altstadt erinnern an die traditionellen Häuser aus dem Iran.
Und doch ist es ganz anders.
Nach fast einem Monat im Iran laufen wir zum ersten Mal wieder über einen öffentlichen Platz auf dem laute Musik gespielt wird, wir sehen Touristen in westlicher Sommerkleidung durch die Straßen schlendern und Schilder mit Bierbildern, die Bars und Kneipen ausweisen.
Nackte Haut und Alkohol !!! Ich muss erst einmal meine Gefühle sortieren. Die knielangen kurzen Hosen der Männer wirken irgendwie unschicklich und die Hotpants und tief ausgeschnittenen Tops der jungen Frauen finde ich geradezu obszön. Manuel meint nur ganz trocken: „Ich glaube du kannst dein Kopftuch jetzt abnehmen.“ Oh, stimmt! Wir sind schon seit zwei Tagen nicht mehr im Iran und ich habe es immer noch nicht gewagt das Kopftuch abzulegen. Wenn ich ehrlich bin, widerstrebt es mir auch jetzt noch. Nach gut einem Monat fühle ich mich ohne irgendwie nackt. Jede Frau, die den ganzen Winter über Schal trägt und im Frühling das erste Mal wieder ohne los geht, kennt das Gefühl. Die Macht der Gewohnheit!
Letzten Endes spülen wir uns aber noch am selben Abend mit einem kühlen Bier den Staub aus den Kehlen (Gott, war das gut!) und auch die Kleidersorgen haben wir schnell wieder abgeschüttelt.
Nichtsdestotrotz, die letzten 48 Stunden waren unglaublich ereignisreich und die drei Länder, durch die wir kamen, hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Es gab so viel zu verarbeiten, wir standen wohl wirklich unter Kulturschock – im wahrsten Sinne des Wortes.
Mal schauen wie es nun hier in Usbekistan für uns weiter geht…wir sind gespannt.
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